Arbeiten unter Spannung: IEC/EN 61243-5
Kapitel: Schnittstellen · Systemdefinition · Betriebsbedingungen · SicherheitshinweisKapazitive Spannungsprüfsysteme
In modernen, gekapselten Schaltanlagen können Spannungszustand und Phasenlage nicht mehr über eine einfache Prüfung an spannungsführenden Teilen ermittelt werden, da diese nicht mehr direkt zugänglich sind.
Entsprechende Anlagen verfügen daher über standardisierte kapazitive Abgriffe (=Koppelteile), an denen eine Prüfung mit IEC/EN 61243-5 (bzw. DIN VDE 0682 Teil 415) konformen Geräten erfolgen kann.
Bei diesem Koppelteil handelt es sich im Prinzip um einen belasteten, kapazitiven Spannungsteiler, der aus einer Koppelkapazität (meist in Stützer, Durchführung oder Kabelgarnitur integriert) und der Kapazität der koaxialen Verbindungsleitung (=Zylinderkondensator) gebildet wird. Zusätzliche Kapazitäten können bei kurzer Verbindungsleitung oder Einzeldrahtverkabelung installiert sein. Oft ist auch die Streukapazität der Anschlußleitungen zu Metallteilen der Anlage die einzige zusätzliche Kapazität.
Durch Anschluß eines Prüfgeräts wird dieser Spannungsteiler mit einer definierten Kapazität (Eingangsimpedanz des Meßgeräts) belastet. Der Stromfluß durch diese Meßkapazität ist direkt proportional zur Betriebsspannung der Anlage und kann daher zur Beurteilung des Anlagenzustands herangezogen werden (UB = k * IMess, k = const.).
Die Konstante k wird dabei für jedes Koppelteil so gewählt, das einem Stromfluß von >2,5 µA der Zustand Spannung vorhanden zugeordnet ist. Bei Kabelgarniturabgriffen (LRP) reichen dazu bereits >1,0 µA aus.
Damit zusätzlich zur Spannungsdetektion der Phasenvergleich zwischen verschiedenen Koppelteilen möglich ist, muß darauf geachtet werden, daß k, die Koppelteilimpedanz, nur kapazitive Anteile hat, da resisitve oder induktive Anteile eine Phasenverschiebung erzeugen.
Betriebsbedingungen
Da die über den Stromfluß von 2,5 µA, bzw. 1,0 µA bei Kabelgarnituren, definierte Ansprechschwelle von der Spannungsebene entsprechender Anlagen unabhängig ist, muß diese über die Konstante k einem gewissen Prozentsatz der Anlagennennspannung zugeordnet werden. In der hier besprochenen Norm hat man daher folgende Festlegungen getroffen, hier nur wiedergegeben für das verbreitete
Dreileiter-System
„[..] Die Anzeige 'Spannung vorhanden' soll erscheinen, wenn die aktuelle Leiter-Erd-Spannung im Bereich von 45-120 % der Nennspannung liegt und darf nicht erscheinen, wenn die aktuelle Leiter-Erd-Spannung kleiner als 10 % der Nennspannung beträgt. UNenn/ sind dabei die 'Leiter-Erd-Nennspannung'.[..]“
Dieser Zusammenhang ist in der Abbildung unten dargestellt. Auf der vertikalen Achse ist dabei die normierte Betriebsspannung, auf der horizontalen Achse der Schnittstellenstrom aufgetragen. Im grau hinterlegten Bereich ist zusätzlich die Skalierung des LRP-Systems ersichtlich.
Wertepaare aus prozentualer Anlagenspannung und Schnittstellenstrom, die im blaßgelben Bereich liegen, sind nicht erlaubt (= Koppelteil defekt), da entweder die Bedingung „spannungsfrei“ für U < 10% (untere Ursprungsgerade) oder „Spannung vorhanden“ für U > 45% (obere Ursprungsgerade) nicht eingehalten wird.
Eine U/I-Kennlinie eines ordnungsgemäß funktionierenden Koppelteils ist dabei immer eine Ursprungsgerade, hier weiß-gestrichtelt dargestellt. Die Steigung ist proportional zur Impedanz.
Systemdefinition der Koppelteile
Mit der oben angegebenen 2,5 µA Schnittstellenbedingung wurden, entsprechend des
erforderlichen Eingangswiderstandes, die folgenden Koppelteile definiert:
System | Ansprechwert | Stecksystem |
---|---|---|
HR (hochohmig) | 70-90 V / 36-43,2 MΩ | 19 mm zweipolig |
MR (mittelohmig) | 20-30 V / 12-14,4 MΩ | 21 mm zweipolig |
LR (niederohmig) | 4-5 V / 2-2,4 MΩ | 6,3 mm Klinke (koaxial) |
LRM (niederohmig) | 4-5 V / 2-2,4 MΩ | 14 mm zweipolig |
LRP (niederohmig) | 4-5 V / 5-6 MΩ | (nur Koppelelektrodenabgriff) |
Allgemeine Sicherheitshinweise
a) Bei Betrieb von Mittelspannungsanlagen unterhalb ihrer Nennspannung ist eine sichere Anzeige der Spannung nicht immer gewährleistet, da sich Schnittstellenstrom und Spannung verringern. Dadurch liefert auch die Schnittstellenprüfung mit 3,2 µA Kriterium eventuell ebenso falsche Werte, wie ein Spannungsdetektor möglicherweise 'spannungsfrei' statt 'Spannung vorhanden' anzeigt. Unsere Produkte verfügen deshalb über eine Unterspannungserkennung, die schon bei 0,5 µA anspricht. Die Geräte der VisualPhase und VisualDetect Baureihe können darüber hinaus vom Benutzer an das Betriebs- / Nennspannungsverhältnis angepaßt werden und liefern so eine gesicherte Anzeige.
b) Die LRM-Schnittstelle ist nicht vor Verpolung geschützt. Achten Sie dort immer auf korrekte Polung der Anschlußleitungen. Bei gleichrichtenden Schnittstellen erhalten Sie dort sonst u.U. Falschanzeigen.
c) Am HR-Koppelteil können sehr hohe Spannungen anliegen. Achten Sie daher immer auf intakte Sicherheitsstecker und -buchsen.
d) Nicht zwangsgeerdete LRP-Meßpunkte können unter hoher statischer Spannung stehen. Beim Anschluß von Prüfgerät an diesen Meßpunkten kann es daher zu Sprüherscheinungen kommen.